Ich habe letztens bei Facebook ein Spruchbild entdeckt, welches mich dazu angeregt hat, ein paar Zeilen zum Thema zu schreiben.
Für mich stecken in dieser Aussage gleich mehrere problematische Sachverhalte.
Erstens bringt uns das Denken in diesem Muster in die Rolle des Opfers und entbindet uns gleichzeitig von unserer Verantwortung.
Gleichzeitig spricht es uns die Macht über unsere eigenen Gefühle ab, die von außen bestimmt werden, und nicht von uns selber.
Wie können wir jemanden verletzen? Wie entsteht das Gefühl der Verletztheit überhaupt?
Wenn ich eine verletzende Handlung durchführe, fühlt sich dadurch jeder in gleichem Maße verletzt?
Ist es nicht so, dass die Verletzung oder der Schmerz abhängig von der Person ist, die die Verletzung wahrnimmt? Ich meine natürlich keine körperlichen Verletzungen, es geht um rein mentale Verletzungen.
Das Thema wird vielleicht etwas einfacher, wenn wir mal die vorsätzliche und böswillige Verletzung beiseite lassen. Diese ist vielleicht einen eigenen Artikel wert.
Ist der versehentlichen oder aus Unachtsamkeit zugefügten Verletzung nicht ganz unähnlich, aber da ist es auch interessant, den Absender zu betrachten.
Ansonsten lege ich das Augenmerk jetzt auf den Verletzten…
Der Verletzte nimmt eine Handlung war, oder er hört eine Aussage und fühlt sich verletzt. Richtig. Er oder sie fühlt sich verletzt. Das ist ein Gefühl, welches wir mit einer bestimmten Situation in Verbindung bringen. Diese Verbindung zwischen Sinneswahrnehmung und einem assoziierten Gefühl sind bei jedem Menschen unterschiedlich verdrahtet.
Der Absender der vermeintlichen Verletzung spricht somit kein direktes Gefühl an, wie soll er das auch machen? Er führt nur ein Handlungsmuster aus, welches wir durch unsere individuelle Lebenserfahrung mit dem Gefühl Schmerz verknüpft haben.
Wenn wir uns jetzt Mühe geben wollen nichts zu tun, was jemanden verletzen könnte, wie können wir dann noch authentisch durchs Leben gehen und mit anderen Menschen interagieren? Ich würde sagen, fast gar nicht. Da jeder Mensch andere Gedanken und Muster mit positiven oder negativen Gefühlen verknüpft, muss ich alle Menschen meiner Umgebung schon sehr genau studieren und mir im besten Fall eine Datenbank anlegen, an die ich mich halten kann, sobald ich mit anderen Menschen in Kontakt komme.
Nicht gerade realistisch. Und wo bleibe ich selber in so einem Szenario, wenn ich nur noch danach schaue, sämtliche Fettnäpfchen meiner Umgebung zu umschiffen?
Ich denke, da würde ich auf der Strecke bleiben und mich selber ständig verletzt fühlen.
Weil ich mir selber nicht gerecht werden kann.
Jetzt begeb’ ich mich in die Perspektive des Verletzen.
Es ist bequem, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und ihn zu bezichtigen, mich verletzt zu haben. Es macht die Verletzung aber nicht weniger schmerzhaft. Ich verleugne nur meine eigene Verantwortung für den Schmerz und entlaste mich von der Bürde, etwas zu ändern. Also eine Veränderung der Art, dass ich mich in ähnlichen Situationen in der Zukunft weniger oder gar nicht mehr verletzt fühle.
Die Verknüpfungen zwischen Sinneswahrnehmungen und Gefühlen sind willkürlich von uns selber gestrickt worden, somit können wir das Strickmuster auch abwandeln und Verknüpfungen verändern.
Dafür müssen wir allerdings nicht bei unserem Gegenüber schauen, sondern bei uns selber. Was an den Worten oder dem Tun des Anderen nehme ich als verletzend war, und warum genau? Bei welchen Situationen habe ich dieses Gefühl in der Vergangenheit auch schon gefühlt? Was habe ich für Glaubenssätze etabliert, die mich etwas als verletzend einstufen lassen? Wenn diese Fragen beantwortet sind, kann ich damit beginnen, diese vermeintlichen Tatsachen in Frage zu stellen und die Verknüpfungen neu zu stricken.
Das Gefühl kommt einzig und alleine von dem Gedanken, den wir mit der Sinneswahrnehmung in Verbindung bringen. Als einfaches Beispiel nehme ich mal eine Situation, die ich so schon mehrfach erlebt habe.
Ich fahre durch den Ort, sehe ein bekanntes Gesicht, habe den Eindruck gesehen zu werden, grüße und es kommt nichts zurück. Wenn ich emotional einigermaßen gefestigt bin, denke ich mir, dass mein Gegenüber wohl gerade in Gedanken war und fahre unbeschwert weiter, ohne die Situation noch eines Gedankens zu würdigen.
Ist das nicht der Fall, suche ich den Fehler bei mir, was ich denn falsch gemacht haben könnte, dass ich nicht zurückgegrüßt werde. Wenn mir nichts einfällt, entscheide ich vielleicht, dass der Andere ein großes Arschloch ist, welches ich nie wieder grüßen werde.
Der Tag ist versaut oder zumindest einige Zeit des Tages und ich fühle mich verletzt.
Eine Situation, zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen und Konsequenzen.
Welches der beiden Szenarien ich wähle, ist ganz alleine meine Entscheidung.
Selbst wenn sich die Situation wiederholen sollte, ist es wesentlich zielführender, die Person direkt anzusprechen. Das Ungewisse und die Selbstzweifel sind langanhaltende und unangenehme Begleiter. Die Ungewissheit aufzulösen hilft, die Dinge loszulassen.
Entweder mein Gegenüber entschuldigt sich und hat eine harmlose Erklärung, oder er sagt mir, dass er mich nicht mag und mich deswegen nicht grüßt.
Wenn ich mich dadurch verletzt fühle, dann ist es meine Verantwortung. Nicht jeder kann mich immer mögen. Wenn mich jemand nicht mag, dann ist das so. Er tut damit aber nichts, um mich aktiv zu verletzen. Das Gefühl der Verletzung krame ich selber aus der Schublade.
Dadurch, dass ich dann auf den „bösen” Verursacher meiner Verletztheit zeige, fühle ich mich weiterhin verletzt und – wenn ich mit vielen Menschen zu tun habe – wohl auch sehr oft.
Ich kann die anderen Menschen nicht ändern und ich kann auch nichts daran ändern, dass mich nicht alle mögen.
Ich kann aber meine Sichtweise darauf verändern. Damit auch das Gefühl, welches mit solch einer Situation einhergeht.